(Kurze) Biographie von Sandra, 14 (2001)

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Liebe Eltern,

Ich dachte, dass ich hier einfach mal meine Geschichte erzähle einerseits um sie loszuwerden, andererseits um andere vor so einem Verlauf zu warnen. Ich bin (noch) 14 Jahre alt.

Schon nach meiner Geburt war ich anders als alle anderen Babys. Ich schrie nicht, sondern lag immer nur ruhig in meinem Bettchen oder lachte fröhlich. Mit einem Jahr musste ich keine Windeln mehr tragen, auch das Sprechen lernte ich sehr früh. Doch mit zwei Jahren konnte ich noch nicht laufen, ich ließ mich lieber umhertragen. Immer meinten die Ärzte, dass ich geistig nicht ganz da wäre. Ich kam dann jedoch auch schon mit zwei Jahren in den Kindergarten, ich glaube, dass ich dort bisher die schönste Zeit meines Lebens verbracht habe. Ich habe einen großen Bruder, er ist genau zwei Jahre älter als ich. Er war immer mein Kamerad, wir waren echte Kumpels.

Die schöne Zeit war dann vorbei, als er in die Schule kam, denn ich musste zuhause bleiben (na ja, im Kindergarten) und er durfte Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Ich machte seine Hausaufgaben häufig einfach mit, seine Kunsthausaufgaben habe ich fast grundsätzlich gemacht. Mit fünf Jahren fing ich mit Ballettunterricht an, ich war nicht allzu begabt darin, das ist aber auch das einzige, was ich nicht kann. Aber heute muss ich sagen, dass mich dieser damals wahrscheinlich vor einigem bewahrt hat. Kurz bevor ich in die Schule kam, fing ich an, Klavier zu spielen, schon schnell war ich so gut wie mein großer Bruder.

Mit sechs Jahren kam ich wie alle anderen auch in die Schule. Ich lernte schnell, meine Lehrerin meinte immer wieder, dass das ein sehr intelligentes Kind sei. Ich war damals immer sehr früh in der Schule und wartete, dass meine Klassenlehrerin kam. Dann bin ich mit ihr in die Schule gegangen und haben mit ihr alles mögliche gemacht. Ich hatte in der Grundschule einen guten Freund, der mich so nahm, wie ich war. Aber er war eben ein Junge, was viele Probleme mit sich brachte. Der Rest der Klasse schloss mich vollkommen aus, in den Pausen stand ich fast immer häufig an einer Mauer, ich sehe das Bild noch heute vor mir, und wartete, dass der Tag vorbei ging. Meine Eltern haben mir das damals nie geglaubt.

Im Laufe der Grundschulzeit wurde der Unterschied zwischen mir und meinen Klassenkameraden immer größer. Ich bekam ständig Sonderaufgaben von meiner Lehrerin, hielt unbewusst Referate oder wartete, dass die anderen fertig würden. Eigentlich war auch diese Zeit noch ganz schön, ich hatte eine unbewusste Sonderrolle in meiner Klasse. Damals wusste jedoch keiner außer meiner Lehrerin von meiner Hochbegabung in wirklich allen Bereichen. Ich habe mir damals nur häufig Gedanken gemacht, ob ich vielleicht geistig behindert bin und alle davon wissen, nur ich nicht. In gewisser Weise hatte ich damit ja auch gar nicht so Unrecht.

Nach der vierten Klasse wechselte ich, wie allgemein in Niedersachsen üblich, auf eine Orientierungsstufe. Das war eigentlich der Anfang von allem Übel. Meine Klasse mochte mich nicht, ich erinnere mich an viele fiese Aktionen die damals geschahen. Vielleicht geschah mir das auch alles zu recht, möglicherweise habe ich mich ja einfach unfair ihnen gegenüber verhalten, woran ich mich aber eigentlich nicht erinnern kann.

Nach zwei Jahren OS-Zeit wechselte ich dann auf das Gymnasium, wo auch mein Bruder hinging. Ich war in der neuen Klasse zunächst total glücklich. Meine Mutter meinte immer zu mir, dass auf dem Gymnasium alles besser werde und so bin ich auch sehr optimistisch an die Sache herangegangen. Ich hatte auch erst sehr viel Freundinnen, ich verstand mich mit allen super. Ich verstand mich besonders gut mit zwei Mädchen und so schlossen wir eine scheinbar richtig dicke Freundschaft. Doch schon in den Herbstferien zerbrach das ganze. Die beiden waren bei mir zuhause zu Besuch, setzten sich auf mein Bett und machten dumme Witze über mich, somit war dieses Kapitel erledigt. Nach den Ferien schloss ich mich mit einem anderen Mädchen zusammen, in meinen Augen war das ganze eine wahre Mädchenfreundschaft mit allem drum und dran. Doch noch nie hatte jemand verstanden, wie ich ohne zu lernen gute Noten schreiben konnte. Sie sagte es zwar nie zu mir, jedoch nutze sie es aus. Sie schrieb in den Arbeiten ganze Passagen von mir ab oder ließ sich (bei unterschiedlichen Aufgaben) das Ganze von mir vorsagen. Irgendwann startete sie Aktionen gegen mich und redete kein Wort mehr mit mir, so zerbrach auch dies. Einmal luden mich alle Mädchen aus der Klasse ins Kino ein, Mann,, habe ich mich damals gefreut, doch ich stand allein vor dem Kino und sie lachten sich zuhause ab.

In der siebten Klasse gab es so viele Intrigen gegen mich, die kann ich hier gar nicht alle aufzählen. In der achten Klasse gab es dann zeitweise wieder Lichtblicke, wir nahmen mit “der ganzen Klasse” bei JugendForscht (bzw. Schüler experimentieren) teil, wobei ich fast die ganze Arbeit hatte. Aber das hat mir echt Spaß gemacht, ich hatte eine Aufgabe und ein Ziel. Leider war die ganze Sache mit einem Landheimaufenthalt verbunden, ich glaube, dass ich noch nie soviel wie in dieser Woche geheult habe. Einige Sachen, die dort geschehen sind, werde ich nie vergessen. Eigentlich war meine ganze Zeit, die ich auf dem Gymnasium verbracht habe, mit Trauer, Heulkrämpfen u. ä. verbunden, es ist (war) einfach schrecklich. Ich lebte einfach nur noch vor mich hin, war in der Schule und schrieb meine Einsen, kam nach Hause und heulte erst mal, danach machte ich Hausaufgaben, ging mit meinem Hund raus und verzog mich dann an meinen Computer.

Ich habe nie über die Sachen, die geschehen sind, mit jemandem geredet. Kurz vor dem Ende der achten Klasse fragte mich mein Klassenlehrer nebenbei, ob ich überspringen wolle. Ich sagte nein. Ich sagte das, weil es immer mein großer Wunsch war nach Englisch und Latein noch Französisch zu lernen, was sonst nicht möglich gewesen wäre. So blieb ich dann in dieser Klasse. In der neunten Klasse dann, war es so unerträglich, dass ich nicht mehr in die Schule wollte, ich wollte ins Ausland gehen, einfach nur weg von hier. So entschloss ich mich, die Schule zu wechseln. Ursprünglich wollte ich auf ein Hochbegabteninternat in Braunschweig gehen, jedoch wollte meine Mutter dies nicht. So machte sie einen Termin bei dem Direktor einer anderen Schule. Es war ein Donnerstag, als ich davon erfuhr.

Ich erzählt niemandem aus meiner Klasse von dem Vorhaben, wem denn auch. Doch schon am nächsten Tag kam ein Mädchen zu mir und sagte “Was, du willst auf das …. wechseln, spinnst du??” So musste ich die ganze Sache erklären und aus dem Gespräch mit dem Direktor und den anschließenden Probetagen musste etwas werden. Es war nun ein Weg ohne zurück. Der Direktor war sehr freundlich, er sprach offen zu mir, wobei ich wohl eher verklemmt dasaß. Ich hoffe auf einen Neuanfang, neue Schule, neues Glück. Ich dachte, dass es nicht so wie vorher weitergehen könne, ich habe die Probleme bei den anderen gesucht. Heute bin ich auf der anderen Schule, ich musste zwei Jahre Latein nachholen, ein halbes Schulhalbjahr Griechisch, das beides ging sehr schnell. Doch ich möchte sagen, dass es kein Neuanfang geworden, denn viel hat sich nicht geändert. Es gibt jetzt zwar zwei Mädchen in der Klasse, mit denen ich mich gut verstehe, aber es wurden auch schon wieder miese Intrigen gegen mich gestartet. Ich kann es den anderen kaum übel nehmen, sie beneiden mich eben.

Aber leider wissen sie nicht, wie schlecht es mit eigentlich geht. Ich lebe hinter einer Maske, kaum jemand hat bisher dahintergeblickt und wenn nur für sehr kurze Zeit. Ich habe körperlich durch dies sehr viel Leid erfahren. Meine Wirbelsäule ist sehr geschädigt und meine Füße taugen zeitweise auch nichts mehr. Häufig habe ich große Schmerzen, wovon die anderen aber meist nichts mitbekommen. Sie denken eben, dass es toll ist, wenn man so intelligent ist, wenn man ein “Genie” ist. Neulich meinte wieder jemand zu mir, dass er das alles auch gern so gut könnte. Jedoch weiß dieser jemand nicht, was damit alles verbunden ist, ich wäre diesen Fluch ehrlich gern los, aber leider ist das nicht möglich, somit werde ich mich wohl damit abfinden müssen. Seit der fünften Klasse habe ich keinen Woche mehr erlebt, wo ich nicht plötzlich einmal einen “Heulkrampf” bekommen habe, weil wieder irgendetwas geschehen ist, worüber ich mit keinem reden kann. Ich hoffe ja immer nur, dass es sich irgendwann bessert und ich glaube auch, dass ich auf dem richtigen Weg dorthin bin. Ich möchte mit diesem Text niemandem Angst einjagen. Ich möchte jedoch zeigen, dass der Weg eines hochbegabten Kindes (bzw. jetzt Jugendlichen) sehr schmerzvoll sein kann und dass es bestimmt keinen Grund gibt, auf solche Kinder eifersüchtig zu sein, denn sie haben es wirklich schwer genug.

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